Verändert sich die Brennweite beim Fokussieren?
Tatsächlich ändert sich bei manchen Objektiven die Brennweite, wenn man auf eine andere Entfernung scharfstellt. Die Verhältnisse sind aber insofern komplizierter, als nicht alles, was nach einer Brennweitenveränderung aussieht, auch wirklich darauf zurückzuführen ist.
Damit ein scharfes Bild entsteht, müssen drei Entfernungen in einer bestimmten Beziehung zueinander stehen: die Entfernung zwischen Motiv und Linse (Gegenstandsweite), die Entfernung zwischen Linse und Sensor (Bildweite) und die Entfernung zwischen Linse und Brennpunkt (Brennweite). Diese Beziehung ist die sogenannte Abbildungsgleichung:
1/Gegenstandsweite + 1/Bildweite = 1/Brennweite.
Wenn man zwei dieser Größen kennt, kann man sich mit der Abbildungsgleichung die dritte Größe ausrechnen. Wenn beispielsweise die Brennweite des Objektivs vorgegeben ist und man ein Motiv in einer bestimmten Entfernung scharf abbilden will, ist damit auch die Bildweite festgelegt – man stellt auf verschiedene Entfernungen scharf, indem man den Abstand der Linse zum Sensor verändert. Das ist die klassische Methode der Fokussierung.
Wenn man auf Unendlich fokussiert, muss die Bildweite gleich der Brennweite sein; der vom Objektiv erfasste Bildwinkel und damit auch die Vergrößerung ergibt sich dann aus der Brennweite und der Sensorgröße. Zur Veranschaulichung betrachtet man nur die Lichtstrahlen, die durch die Mitte der Linse gehen, da diese trotz der Brechung des Lichts in der Linse insgesamt nicht abgelenkt werden:
Wenn ein Hersteller den Bildwinkel eines Objektivs angibt, dann ist der Bildwinkel bei der Einstellung auf Unendlich gemeint. Um auf nähere Motive scharfzustellen, muss man die Linse weiter vom Sensor weg bewegen, womit sich der Bildwinkel verengt und die Vergrößerung wächst.
Dieser sogenannte Bildfeldschwund im Nahbereich vergrößert zwar das Bild, wenn man auf eine kürzere Entfernung scharf stellt; dieser Effekt hat aber nichts mit einer Veränderung der Brennweite zu tun, die in Wirklichkeit konstant bleibt.
Aus der Abbildungsgleichung ergibt sich, dass man noch auf eine andere Weise fokussieren kann, nämlich indem man die Bildweite konstant lässt, dafür aber die Brennweite der Gegenstandsweite anpasst. Diese Methode der Fokussierung ist uns allen vertraut, auch wenn uns das vielleicht nicht bewusst ist: Genau so stellen nämlich unsere Augen scharf. Der Abstand zwischen Linse und Netzhaut verändert sich nicht; wir bekommen keine Stielaugen, wenn wir Gegenstände im Nahbereich betrachten wollen. Stattdessen wird die verformbare Linse durch Muskeln zusammen gedrückt, so dass sich ihre Brennweite verkürzt. Je kürzer die Brennweite, desto kürzer ist auch die Entfernung, in der Gegenstände scharf abgebildet werden.
Da die Bildweite unveränderlich ist, bleibt auch der Bildwinkel und damit die Vergrößerung dieselbe, obwohl sich die Brennweite ändert.
Die Linse im menschlichen Auge ist eine „Gummilinse“ (wie der Volksmund früher die Zoom-Objektive nannte), aber mit ihrer veränderlichen Brennweite können wir weder entfernte Motive vergrößern noch den Bildwinkel vergrößern; beides bleibt konstant.
Während wir es also bei der klassischen Methode der Fokussierung mit einer Veränderung von Bildwinkel und Vergrößerung bei konstanter Brennweite zu tun haben, kann sich die Brennweite verändern, obwohl Bildwinkel und Vergrößerung gleich bleiben – das menschliche Auge ist ein Beispiel dafür. Was hat es nun aber damit auf sich, wenn ein Zoom-Objektiv im Nahbereich einen größeren Bildwinkel als im Fernbereich erfasst und entsprechend weniger stark vergrößert? Geht dies tatsächlich auf eine Veränderung der Brennweite durch die Entfernungseinstellung zurück?
Bei einem Zoom-Objektiv will man mit der Veränderung der Brennweite vor allem den Bildwinkel und die Vergrößerung verändern; eben dafür verwendet man ja ein Zoom. Solche Objektive werden aber durchweg nicht oder nicht allein dadurch fokussiert, dass man den Abstand zwischen Linsen und Sensor ändert; in der Regel wird auch zur Entfernungseinstellung die Brennweite verändert. Im Idealfall würde diese Brennweitenveränderung zur Fokussierung ausreichen; der Bildwinkel wäre dann bei jeder Entfernung derselbe. Die komplexen Anforderungen an ein Zoom-Objektiv machen es aber oft nötig, auch die Bildweite zu verändern – mit dem Ergebnis, dass sich der Bildwinkel im Nahbereich vergrößert. Das hat aber weniger damit zu tun, dass sich mit der Fokussierung die Brennweite verändert, sondern liegt daran, dass die Veränderung der Brennweite allein nicht zur Scharfeinstellung genügt.