Was ist der Focus&Recompose-Fehler?
Zur Fokussierung auf die Augen der Braut verschiebt man besser das AF-Messfeld dorthin.
Der Focus&Recompose-Fehler ist eine Quelle von Fehlfokussierungen, die nicht der Kamera oder dem Objektiv, sondern dem Fotografen selbst anzulasten sind. Das kann immer dann passieren, wenn man zunächst auf ein Motiv scharfstellt (Focus) und die Kamera vor dem Auslösen noch einmal schwenkt oder kippt, um einen anderen Bildausschnitt zu wählen (Recompose). Das liegt wohlgemerkt nicht daran, dass man sich beim Komponieren des Bildausschnitts versehentlich nach vorne oder hinten bewegt hat, sondern wird durch die Drehung selbst bewirkt.
Fehlfokussierungen aufgrund des Focus&Recompose-Fehlers gibt es seit langem, und sie waren zunächst auch nur schwer zu vermeiden. Messsucher- und Spiegelreflexkameras unterstützten die manuelle Fokussierung früher mit einem zentralen Schärfeindikator, also mit einem Mischbild, einem Schnittbild oder Mikroprismen. Man musste die Kamera zunächst auf das scharf abzubildende Motiv ausrichten, bis es in der Bildmitte lag, um darauf scharfzustellen; erst danach konnte man den Bildausschnitt wählen und das Motiv auch abseits der Mitte platzieren. Selbst die ersten Autofokussysteme änderten zunächst nichts daran, denn sie hatten nur ein einziges zentrales Messfeld oder eine kleine Zahl von Messfeldern nahe der Bildmitte.
Bei neueren spiegellosen Systemkameras kann man das AF-Messfeld meist (fast) im gesamten Bildfeld frei positionieren. Der Focus&Recompose-Fehler lässt sich damit vermeiden, indem man zunächst den Bildausschnitt festlegt und dann das Messfeld zum Motiv verschiebt, statt die Kamera zu schwenken oder zu kippen. Dennoch ist die Focus&Recompose-Methode für viele Fotografen eine liebgewordene Angewohnheit geworden, von der sie nicht mehr abgehen, obwohl es inzwischen eine Alternative gibt.
Aber wie entsteht nun überhaupt dieser Fehler? Wenn man wie im Bild links illustriert die Kamera in Richtung eines Motivs am Bildrand schwenkt, um mit dem mittleren Messfeld zu fokussieren, erscheint das Motiv zunächst scharf im Sucher.
Schwenkt man nun wiederum zurück (wie unten gezeigt), weil man das Motiv näher am Bildrand positionieren möchte, dreht sich die Schärfenebene mit und liegt am Ende hinter dem Motiv. Wenn man dann nicht weit genug abblendet, um die Fehlfokussierung durch die Schärfentiefe zu kaschieren, wird das Motiv unscharf abgebildet. Der Fehler lässt sich mathematisch exakt angeben, denn die Entfernung, auf die man scharfgestellt hat, ist gleich der tatsächlichen Motivdistanz, geteilt durch den Kosinus des Schwenkwinkels.
Man könnte denken, dass der Focus&Recompose-Fehler bei langen Brennweiten am gefährlichsten wäre. Schließlich schrumpft die Schärfentiefe mit der Brennweite und kann eine Fehlfokussierung dann möglicherweise nicht mehr auffangen. Tatsächlich sind jedoch kurze Brennweiten am anfälligsten dafür, denn je kürzer die Brennweite, um desto größere Winkel kann man schwenken. Der Fehler kann größer ausfallen und dieser Effekt ist stärker als der einer geringeren Schärfentiefe langer Brennweiten. Mein Schärfentiefenrechner berücksichtigt beide Effekte und warnt, wenn der maximal mögliche Schwenkwinkel zu einer Fehlfokussierung jenseits der Schärfentiefe führen würde.
Manchmal hat jedoch Glück und bleibt von Fokussierfehlern verschont, auch wenn man die Kamera nach der Scharfeinstellung schwenkt. Falls das verwendete Objektiv nämlich eine Bildfeldwölbung aufweist, ist seine Schärfenebene ebenfalls gewölbt, und dieser Abbildungsfehler kann den Fokussierfehler ganz oder teilweise kompensieren.