Hatte Kodak den Aufstieg der Digitalfotografie verschlafen?
Kodak hatte die Digitalfotografie 1975 erfunden und 1977 zum Patent angemeldet, aber wie eine sich hartnäckig haltende Legende besagt, hätte sich das Management gegen eine Nutzung dieser Erfindung gesträubt, weshalb andere Hersteller später Kodak den Rang abgelaufen hätten. Tatsächlich schlitterte Kodak 2012 in die Insolvenz und gab im selben Jahr die Kameraherstellung auf; 2013 endete auch die Produktion von Filmen für fotografische Zwecke. Wenn heutzutage Fotoprodukte unter dem Markennamen „Kodak“ angeboten werden, haben sie meist nichts mehr mit dem traditionsreichen Unternehmen zu tun, das man mit diesem Namen verbindet. Der spätere Niedergang Kodaks ist aber nicht dadurch zu erklären, dass sie die Digitalisierung der Fotografie verschlafen hätten – nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein.

Steve J. Sassons Prototyp einer Digitalkamera konnte Bilder mit 10.000 Pixeln aufnehmen, deren Speicherung 23 Sekunden dauerte. (Quelle: The George Eastman Museum)
Der Anstoß zur Erfindung der Digitalkamera kam von der Halbleiterindustrie. Die Bell Laboratories hatten das CCD erfunden und ab 1973 produzierte Fairchild die ersten Bildsensoren auf Halbleiterbasis. Der Kodak-Ingenieur Steven J. Sasson bekam den Auftrag, nach Anwendungsmöglichkeiten für diese neuartigen Bildwandler-Chips zu suchen, die zunächst nur 10.000 Pixel auflösten. Ein CCD (Charge-Coupled Device) ist wohlgemerkt ein analoges Bauelement, das die in jedem Pixel gemessene Helligkeit in eine dazu analoge Spannung umwandelt. Sasson fügte einen Analog/Digital-Wandler hinzu, um daraus digitale Daten zu erzeugen, die sich dann auf einem Kassettenrekorder speichern ließen, was 23 Sekunden pro Bild in Anspruch nahm. Ende 1975 konnte Steven J. Sasson seinen Prototyp einer tragbaren Digitalkamera vorführen, die mit ihrem Gewicht von 3,6 Kilo allerdings nicht dazu einlud, sie tatsächlich unterwegs mitzunehmen. 1977 meldete Kodak diese Erfindung zum Patent an.

Im Notizbuch skizzierte Bryce E. Bayer seine Idee von Farbfiltern in dem inzwischen nach ihm benannten Muster. (Quelle: The George Eastman Museum)
Während Sassons Prototyp nur monochrome Bilder aufnahm, hatte sein Kollege Bryce E. Bayer parallel dazu die Grundlagen zur digitalen Farbfotografie gelegt. Mit dem von ihm vorgeschlagenen Muster roter, grüner und blauer Farbfilter vor den Sensorpixeln wurde es möglich, auf den von 3-Chip-Videokameras bekannten Strahlenteiler zu verzichten und mit einem einzigen CCD-Sensor Farbbilder aufzunehmen. Auch dieses Bayer-Muster ist also eine Kodak-Erfindung.
Bis zur Entwicklung der ersten marktreifen Digitalkameras vergingen allerdings noch einige Jahre. In den 80er Jahren gab es Vorläufer wie Canons ION-Modelle, aber das waren Videokameras, die analoge Einzelbilder speicherten, zu deren Digitalisierung noch ein an den Computer angeschlossener Frame Grabber nötig war. Kodak baute ab 1987 die ersten DSLRs, indem sie Spiegelreflexgehäuse von Canon und Nikon entkernten und mit den inzwischen im eigenen Hause entwickelten CCDs ausrüsteten.
Anfang der 90er Jahre brachte Kodak die ersten digitalen Kompaktkameras mit VGA-Auflösung (etwa 0,3 Megapixel) auf den Markt, und auch die Apple QuickTake 100 von 1994 war tatsächlich eine Kodak-Kamera im Apple-Design. Danach verlor Kodak in diesem Segment allerdings für ein paar Jahre an Tempo, und Firmen wie Canon, Nikon, Olympus und Sony konnten an ihnen vorbeiziehen. Für die DSLRs galt das hingegen nicht.

Höhepunkt und gleichzeitig Ende einer Ära: die Kodak DCS Pro SLR n von 2004. (Quelle: Kodak)
Wenn es um die Einführung der ersten Vollformat-DSLR geht, deren Sensor das Kleinbildformat von 36 mm × 24 mm erfasst, denkt man meist an die Canon EOS-1Ds von 2002, aber im gleichen Jahr brachte Kodak die DCS Pro 14n auf den Markt, deren Kleinbild-CCD sogar 14 statt Canons 11 Megapixel auflöste. Mit dem Nachfolger DCS Pro SLR n von 2004 kam dann allerdings auch das Ende von Kodaks Engagement im DSLR-Markt. Nach Canon setzte zunehmend auch Nikon auf eigene digitale Spiegelreflexkameras, womit Kodak seinen Kooperationspartner im SLR-Bereich verlor.
Im Markt der Kompaktkameras blieb Kodak dagegen weiter aktiv und führte dort mehrere innovative Features ein, die bis heute populär geblieben sind. Dazu gehört die Aufnahme von Panoramabildern, wobei das Stitching mehrerer überlappender Einzelbilder bereits in der Kamera stattfand. Kodak war auch ein Pionier in der Kombination mehrerer Kameramodule in einem Gehäuse. So gelang es ihnen beispielsweise, in einer äußerst flachen Kamera ein 10-fach-Zoom unterzubringen – der Brennweitenbereich wurde auf ein Standard- und ein Telezoom mit jeweils eigenem Sensor aufgeteilt, und die Kamera schaltete automatisch zwischen beiden um, wenn das Ende des jeweiligen Zoombereichs erreicht war. Smartphone-Hersteller haben dieses Konzept später aufgegriffen. Dem Aufstieg der sozialen Medien trug Kodak frühzeitig Rechnung, indem ihre Kameras einen konfigurierbaren Share-Button bekamen, über den man Bilder zum Teilen in verschiedenen sozialen Netzen oder per E-Mail auswählen konnte. Verband man die Kamera dann später mit einem Computer mit Internet-Zugang, führte der die vorgemerkten Share-Aktionen aus.
Gerade im Vorgriff auf Funktionen, die heute bei Smartphones zum Standard gehören, lag aber auch der Keim von Kodaks letztendlichem Scheitern. Ihre Produkte konnten fast alles, was die angepeilte Zielgruppe verlangte – eine Zielgruppe, die man heute als Content Creators bezeichnen würde und die Kodak früher als andere auf dem Schirm hatte. Alles, was den Kameras noch fehlte, war ein Mobilfunkmodul für den Internet-Zugang unterwegs, und als die Smartphones diese Lücke schlossen, daneben aber ähnliche Features wie Kodaks Kompaktkameras boten, wurden Letztere überflüssig. Der Markt für solche Produkte brach in kürzester Zeit zusammen und Kodak konnte seine Strategie nicht mehr anpassen.
Gleichzeitig mit der Krise im digitalen Bereich ging der Absatz von Filmen zurück, der ja traditionell das Rückgrat von Kodaks Geschäftsmodell gebildet hatte. Kameras waren für Kodak einst vor allem ein Mittel gewesen, den Verkauf von Filmmaterial anzukurbeln. Der Verlust von Marktanteilen in diesem Segment an Fujifilm, während der Filmmarkt im Ganzen schrumpfte, war dann mehr, als Kodak auf anderen Geschäftsfeldern auffangen konnte, und das Ergebnis war schließlich die Insolvenz und die Filetierung des Unternehmens. Einen allzu zögerlichen Einstieg in die Digitalfotografie kann man Kodak aber nicht zum Vorwurf machen.
11. August 2025, 02:00 Uhr