Der elektronisch-mechanische Schlitzverschluss

mjh, 9. Juli 2025, 21:02 Uhr

Es gibt den mechanischen Schlitzverschluss und den elektronischen Verschluss, aber manche Kameras bieten auch eine Kombination von beiden an: Den Schlitzverschluss mit elektronischem ersten Verschlussvorhang. Wie funktioniert der, und welche Vor- und Nachteile hat er gegenüber einem rein mechanischen oder rein elektronischen Verschluss?

Der Ablauf der beiden Verschlussvorhänge in einem Schlitzverschluss.

Sowohl der Schlitzverschluss, erfunden schon 1881 von Ottomar Anschütz, als auch die meisten der neueren, nur in Digitalkameras möglichen elektronischen Verschlüsse sind Rolling Shutter – sie belichten die Teile eines Bilder nacheinander. Dagegen ist ein Zentralverschluss ein Global Shutter, der das Bild im Ganzen belichtet. Ein Schlitzverschluss besteht aus zwei gleichartigen Verschlussvorhängen, von denen der erste zunächst den Sensor oder Film vollständig vor Licht schützt. Nach dem Auslösen setzt sich dieser Vorhang in Bewegung und gibt die Bildfläche zur Belichtung frei. Nach Ablauf der gewählten Verschlusszeit beginnt ihm der bis dahin verborgene zweite Verschlussvorhang zu folgen, der das Bildfenster wieder schließt. Zwischen den beiden Vorhängen bleibt ein Schlitz offen, der gewissermaßen über die Bildfläche rollt – daher die Bezeichnung Rolling Shutter.

Ein typischer Schlitzverschluss einer DSLR. (Foto: Canon)

Vor hundert Jahren waren die damals verbreiteten Gummituchverschlüsse noch recht langsam. Dabei ist mit „langsam“ nicht die Verschlusszeit gemeint, denn die lässt sich verkürzen, indem man die Verzögerung zwischen dem Start des ersten und des zweiten Verschlussvorhangs reduziert und so einen schmaleren Schlitz erzeugt. Bis dieser Schlitz über das ganze Bild gewandert ist, kann eine viel längere Zeit vergehen, und wenn sich das Motiv bewegt, werden in unterschiedlichen Teilen des Bildes unterschiedliche Bewegungsphasen abgebildet, wodurch Verzerrungen entstehen. Durch die mittlerweile dominierenden LED-Lichtquellen ist noch ein weiteres Problem entstanden: Die LEDs werden gepulst betrieben, was dem menschlichen Auge unbemerkt bleibt, bei der Belichtung mit einem Rolling Shutter aber Streifen im Bild erzeugt. Die Geschwindigkeit der Verschlussvorhänge, die unabhängig von der Verschlusszeit immer dieselbe ist, begrenzt auch die kürzestmögliche Synchronzeit, denn wenn ein nur 1/1000 Sekunde oder kürzer aufleuchtender Blitz das gesamte Bild beleuchten soll, darf der zweite Verschlussvorhang erst starten, nachdem es der erste Verschlussvorhang vollständig freigegeben hat. Moderne Schlitzverschlüsse mit Vorhängen aus Metalllamellen sind allerdings so schnell, dass Verzerrungen und Streifenbildung kaum noch ein Problem sind und Synchronzeiten von 1/250 oder 1/500 Sekunde erreicht werden.

Als die Autos schneller als die Gummituchverschlüsse waren: Ein 6-PS-Rennwagen bei einem Autorennen im Grunewald 1922 zeigt die für langsame Schlitzverschlüsse typischen Verzerrungen. (Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1991-1209-503 / CC-BY-SA 3.0)

Anders sieht das bei einem elektronischen Verschluss als Rolling Shutter aus, der bei manchen Kameras 1/20 Sekunde braucht, um das gesamte Bild zu belichten, auch wenn damit Belichtungszeiten von 1/16.000 Sekunde und teilweise noch viel kürzer möglich sind. Verzerrungen bewegter Motive wie drehende Propeller sind dann unvermeidlich und eine Blitzsynchronisation gar nicht möglich. Nur bei wenigen Sensoren erreicht ihr elektronischer Verschluss eine Geschwindigkeit, die einem mechanischen Schlitzverschluss nahe kommt. Dass die für ihre Geschwindigkeit bekannte Elektronik hier so langsam ist, erklärt sich durch die Arbeitsweise solcher Verschlüsse.

Auch beim elektronischen Verschluss kann man von (virtuellen) Verschlussvorhängen sprechen, nur arbeiten der erste und der zweite Verschlussvorhang, anders als beim mechanischen Pendant, völlig unterschiedlich. Der erste elektronische Verschlussvorhang, der die Belichtung startet, muss lediglich die Sensorpixel Zeile für Zeile zurücksetzen – ihre Ladungsspeicher werden kurzgeschlossen, damit eine vorhandene elektrische Ladung abfließen kann. Das benötigt nur kurze Zeit und kann mit hoher Geschwindigkeit erfolgen, wenn nötig sogar bei allen Pixeln gleichzeitig. Nach diesem Reset beginnen die Sensorpixel wieder bei Null, die durch auftreffendes Licht erzeugten Ladungen zu sammeln. Zum Ende der Belichtung werden die Pixel Zeile für Zeile ausgelesen, also die bis dahin gesammelten Ladungen in Spannungen umgewandelt und diese digitalisiert – das ist der zweite elektronische Verschlussvorhang. Obwohl bei modernen CMOS-Sensoren alle Pixel einer Zeile gleichzeitig ausgelesen werden, dauert dies immer noch vergleichsweise lange – vor allem, weil der Rauschabstand der digitalisierten Werte davon abhängt, wie viel Zeit man sich für die Spannungsmessung nimmt (die sogenannte Integrationszeit). Das ist der Grund dafür, dass die höchsten Serienbildfrequenzen, die mit einem elektronischen Verschluss möglich sind, meist damit erkauft werden, dass statt 14 nur 12 Bits digitalisiert werden – für eine präzisere Digitalisierung mit höherer Bittiefe reicht die Zeit nicht.

Daher ist es der zweite elektronische Verschlussvorhang, der die Verschlussgeschwindigkeit bestimmt. Der erste elektronische Verschlussvorhang könnte sich viel schneller bewegen, muss sich aber dem gemächlichen Tempo des zweiten anpassen, damit zwischen beiden ein virtueller „Schlitz“ mit konstanter Breite bleibt. Also etwa so, als würde man mit seinem altersschwachen Hund Gassi gehen und bewusst kleine Schritte machen, damit der Hund den Anschluss halten kann.

Nun könnte man auf die Idee kommen, den langsamen zweiten elektronischen Verschlussvorhand durch einen schnelleren mechanischen Verschlussvorhang zu ersetzen. Der erste elektronische Verschlussvorhang würde dann nicht mehr so stark ausgebremst und könnte sich ebenso schnell wie sein mechanischer Partner bewegen. Genau diese Variante, einen Schlitzverschluss mit elektronischem ersten Verschlussvorhang, stellen manche Kameras zur Wahl. Dabei wird das Zurücksetzen der Sensorpixel so gesteuert, dass es genauso schnell wie die Bewegung des mechanischen zweiten Verschlussvorhangs geschieht, der nach dem Ablauf der Belichtungszeit folgt. Erst nachdem der mechanische Verschlussvorhang das Bildfenster vollständig verschlossen hat, wird der Sensor in aller Ruhe ausgelesen.

Die damit möglichen Verschlusszeiten bleiben zwar durch die Mechanik beschränkt und sind daher dieselben wie beim reinen Schlitzverschluss; dennoch hat die Kombination beider Verschlussverfahren mehrere Vorteile. Zunächst einmal müssen weniger Teile bewegt werden, was die Geräuschentwicklung reduziert. Das ist heute um so relevanter, nachdem die spiegellosen Kameras im Markt dominieren. Bei Spiegelreflexkameras ist der Verschluss zwischen den Aufnahmen geschlossen; er öffnet sich nur nach dem Druck auf den Auslöser und schließt sich wieder, wenn die Belichtungszeit abgelaufen ist. Bei einer spiegellosen Kamera ist der Verschluss dagegen fast immer offen, da der Sensor ja auch zwischen den Aufnahmen ausgelesen werden muss, um eine Live-View im Sucher oder auf dem Display anzuzeigen. Nach dem Druck auf den Auslöser einer solchen Kamera schließt sich der Verschluss zunächst, woraufhin der Sensor zurückgesetzt wird, öffnet sich aber sofort wieder für die Belichtung der Aufnahme. Nach der Belichtungszeit schließt er sich, damit der Sensor im Dunkeln ausgelesen werden kann, um sich danach wieder zu öffnen. Die Verschlussvorhänge müssen sich also doppelt so oft wie bei einer Spiegelreflexkamera bewegen. Ein elektronischer erster Verschlussvorhang reduziert die Bewegungen der Vorhänge wieder auf die Hälfte und damit auf das von SLRs gewohnte Maß.

Ein weiterer Vorteil des elektronischen ersten Verschlussvorhangs ist das Ausbleiben eines Shutter Shock. So bezeichnet man die Erschütterung der Kamera, die entsteht, wenn ein Verschlussvorhang am Ende seines Wegs wieder abgebremst wird. Wenn sie nicht ausreichend gedämpft wird und die Kamera in Schwingungen gerät, kann das zu Bewegungsunschärfen führen – bei sehr kurzen Verschlusszeiten macht sich das nicht bemerkbar und bei Langzeitbelichtungen spielt es keine Rolle, weil die Schwingungen während des längsten Teils der Belichtungszeit bereits abgeklungen sind, aber in einem mittleren Verschlusszeitenbereich kann Shutter Shock zum Problem werden. Wird die Belichtung dagegen mit einem elektronischen Verschlussvorhang eingeleitet, bleiben Erschütterungen aus; der zweite, diesmal mechanische Verschlussvorhang kann zwar immer noch einen Shutter Shock auslösen, nur ist die Belichtung zu diesem Zeitpunkt bereits beendet.

Die Kombination beider Verschlussarten bietet auch Vorteile gegenüber einem rein elektronischen Verschluss. Verzerrungen bewegter Motive kommen kaum noch vor, jedenfalls nicht mehr als beim Schlitzverschluss. Da das Auslesen des Sensors im Dunkeln und mit mehr Muße erfolgt – der Hersteller ist hier nicht versucht, die Integrationszeit der A/D-Wandler zu verkürzen, um etwas mehr Geschwindigkeit herauszukitzeln –, kann man auch mit einem kleinen Zuwachs bei Rauschabstand und Dynamikumfang rechnen, ebenso wie beim rein mechanischen Verschluss.

Bei all diesen Vorteilen, die den Schlitzverschluss mit elektronischem ersten Verschlussvorhang als das Beste beider Welten erscheinen lassen, fragt man sich natürlich, ob es nicht auch einen Nachteil gibt. Tatsächlich gibt es den – oder es kann ihn in manchen Situationen geben. Das liegt daran, dass die Verschlussvorhänge in verschiedenen Ebenen liegen. Die mechanischen Verschlussvorhänge bewegen sich in derselben Ebene vor dem Sensor, während die elektronischen Verschlussvorhänge virtuell in der Ebene der Sensorpixel selbst zu lokalisieren sind; dazwischen liegen Teile des Verschlussmechanismus, die Mikrolinsen sowie die Filter vor dem Sensorchip. Kombiniert man nun beide Verfahren, bewegt sich der erste Verschlussvorhang wenige Millimeter hinter dem zweiten. So lange die Lichtstrahlen aus dem Objektiv senkrecht auf den Sensor fallen, macht das keinen Unterschied, aber das meiste Licht trifft ja in einem Winkel auf. Abhängig von diesem Winkel wird ein näher an der Hinterlinse liegender zweiter Verschlussvorhang auf seiner Seite länger oder kürzer Licht hindurch lassen, als es der dahinter liegende erste Verschlussvorhang auf der gegenüber liegenden Seite des Schlitzes getan hatte, und dadurch können sich die Unschärfekreise verformen und das Bokeh Schaden nehmen. Ob das geschieht, hängt von der Objektivkonstruktion, der Blende und der Verschlusszeit ab, und in der Mehrzahl der Fälle ist es kein Problem; dennoch sollte man diese Eigenheit im Auge behalten und notfalls zum rein mechanischen Verschluss wechseln.

Ein Sonderfall sei noch erwähnt: Die Kombination eines elektronischen mit einem mechanischen Verschluss ist nicht nur mit einem Schlitzverschluss in der Kamera möglich, sondern ebenso mit einem Zentralverschluss im Objektiv. Da ein Zentralverschluss ein Global Shutter ist, muss dann auch der erste elektronische „Verschlussvorhang“ global wirken, die Belichtung also im ganzen Bild gleichzeitig starten. 2009 hatte Leica diese Kombination in ihrer Mittelformatkamera S2 genutzt, deren Sensor ein CCD vom Full-Frame-Transfer-Typ war und nach landläufiger Meinung keinen elektronischen Verschluss unterstützte (wie es ihn bei Interline-Transfer-CCDs gibt, mit denen sich ein globaler elektronischer Verschluss realisieren lässt). Der Sensorchip verfügte allerdings über einen Pin, über den man alle Sensorpixel gleichzeitig zurücksetzen konnte, und diesen nutzte die S2 zum Start der Belichtung, nachdem sich der Zentralverschluss im Objektiv bereits geöffnet hatte. Insgesamt hatte man bei der S2 die Wahl zwischen einem Schlitzverschluss in der Kamera und (sofern das Objektiv das unterstützte) einem Zentralverschluss mit elektronischem ersten Verschlussvorhang.